Ohne Worte

Veronika Ahnert • 1. Oktober 2022

(geschrieben für die Lesung des 1. Chemnitzer Autorenvereins am 28.09.2022 im Rahmen der interkulturellen Wochen)

Ohne Worte
Worte. So wichtig für die Verständigung.
Verständigung. So wichtig für das gegenseitige Verständnis.
Verständnis. So wichtig für das friedliche Zusammenleben der Menschen.
Wir begegnen uns das erste Mal, sind uns fremd. Ich möchte etwas sagen, aber du sprichst nicht meine Sprache. Und ich nicht die deine. Mir fehlen die Worte. Das Nötigste erledigt die Übersetzungs-App aber die erst notwendige Eingabe und die maschinell gesprochene Ausgabe bilden eine störende Barriere und vermögen ein echtes Gespräch nicht zu ersetzen. So vieles bleibt daher unausgesprochen. Wir können uns gedanklich nicht näherkommen.
Es bleiben die Blicke, die Gesten. Das gekochte Essen. Ich zeige Dankbarkeit und bemühe mich, meine Portion zu schaffen, obwohl ich schon vorher etwas gegessen hatte. Es gab ein Missverständnis. Ich halte den Daumen hoch und lächle – die Köchin freut sich, dass es mir schmeckt. Ein Königreich für einen Sprachkurs! Zurzeit sind keine Plätze frei.
Wie anders ergeht es mir im Sommer in England. Die Sprache dort ist ein Heimspiel für mich, auch wenn ich lange weg war, lassen sich immer mehr Ausdrücke aus den Gemächern meines Gedächtnisses hervorlocken und freuen sich mit mir über jede gelungene Verständigung. Wir diskutieren über Politik, sind nicht immer einer Meinung, finden aber schnell wieder zusammen, als wir Witze über die Marotten unserer Männer machen.
Lachen. Verbindet fast immer. Nimmt den Druck weg. Signalisiert, dass man in Frieden kommt. An der Sympathie des anderen interessiert ist. Dass Fehler nicht schlimm sind. Wer Humor zeigt, hat den Mut, Schwächen aufzudecken, auch die eigenen. Faszinierend, welche Ähnlichkeiten wir entdecken.
Fragen. Wenn mich die Worte nicht verlassen, stelle ich Fragen. Freue mich, wenn ich auch gefragt werde. Das Interesse am anderen, an seiner oder ihrer Meinung, an den Gründen dafür, zeigt Respekt und schafft unerwartete Einblicke. Ich sehe manches in neuem Licht. Die englische Grammatik bietet automatisch Raum für Dialog, da den eigenen Behauptungen meist „question tags“ wie „isn‘t it?“ oder „doesn‘t it?“ angehängt werden. Das heißt so viel wie „nicht wahr?“. Man bittet damit um Bestätigung und zeigt sich offen für Gegenargumente. Natürlich sind die meisten Engländer zu höflich, um die Bestätigung zu verweigern, aber das Gespräch fühlt sich nach Austausch an. Wir tauschen Gedanken, Perspektiven. Bauen Brücken.
Täglich lerne ich neue Wörter hinzu. Beim Übersetzen der Speisekarte lerne ich, dass „rocket“ nicht nur Rakete, sondern auch Rucola heißt. Der Song „Rocket Man“ von Elton John bekommt auf einmal eine ganz andere Bedeutung für mich. Und manch Politiker scheint den Begriff „party“ auch nicht nur mit „Partei“ zu übersetzen.
Es macht Spaß, so über den Tellerrand zu gucken und festzustellen, dass manches auch andersrum funktioniert, wie z. B. der Linksverkehr und dass viele Probleme wie Klimawandel und Energiewende uns alle ähnlich betreffen und beschäftigen. Das Bewusstsein und die Wertschätzung für einige Dinge werden geschärft. Nirgendwo schmeckt das Trinkwasser so gut wie (noch) bei uns zu Hause.
Ein Glück für den, der reisen kann. Richtig reisen, nicht nur in die Abgrenzungen eines Hotels, quasi ohne den eigenen Teller, bzw. die Untertasse, beim Reisen zu verlassen. Eigene Erlebnisse stehen oft im Widerspruch zu Klischees, welche über die Medien verbreitet werden. Reisen – der Schlüssel zu mehr Verständnis? Wiederum leben in der eigenen Stadt mittlerweile Menschen aus über 50 verschiedenen Ländern, theoretisch wäre es also sehr leicht, gemeinsam auf dem Tellerrand spazieren zu gehen.
Jetzt braucht es nur noch die Worte. Nicht wahr?

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Nach dem Motto 'Einen Eisberg auf Mineralölbasis nur zu Vergnügungszwecken künstlich herzustellen und mit den dabei produzierten Emissionen zum Klimawandel und in Folge zur Eisschmelze also der Vernichtung seines natürlichen Vorbildes beizutragen, ist krank!'? Aber kein Transparent ist zu sehen und niemand scheint am schwimmenden Riesenwackelpudding festzukleben. Oder ist das Ganze etwa der dezente Versuch von 'woken' Zeitgenossen, einen Fall von kultureller Aneignung zu verhindern? Ein Eisberg hat schließlich in hiesigen Breiten nichts verloren, außer vielleicht in der frühzeitlichen Ausstellung des Naturkundemuseums. Wie würden sich wohl die ohnehin durch Lebensraumverknappung gestressten Eisbären aus der Arktis bei diesem Anblick fühlen? An die hat mal wieder keiner gedacht! Aber beide Gruppierungen würden ihre Aktionen wohl kaum so lange geheim halten. Das Rätselraten geht weiter. Stand nicht neulich was in der Zeitung von diesem Kunstprojekt, ähm, 'Begehungen', oder hieß es doch 'Beschwimmungen'? Handelt es sich etwa um eine Life-Performance einer avantgardistischen Künstlergruppe zur Versinnbildlichung der Folgen des Klimawandels? Beim Badpersonal gibt man sich ahnungslos, es hätten sich keine Künstler gemeldet, man geht eher von Materialverschleiß in Verbindung mit unkontrollierter Wettereinwirkung aus, d. h. von höherer Gewalt. Der zufällig anwesende Kunstexperte Eberhard W. aus C. hält gerade diese Erklärung für den Beweis, dass es sich hier „um eine neue bemerkenswerte Dimension von zeitgenössischer Kunst handelt, die die darstellerische Kraft des scheinbar zufälligen Zusammenspiels zwischen dem Werk und der existenziellen Gewalt der natürlichen Elemente orchestriert, wobei der Künstler oder die Künstlerin durch seine oder ihre gewählte Anonymität, die Aufmerksamkeit gezielt auf die aus der Unerklärlichkeit entspringende Radikalität der Installation lenkt und in metaphysischer Weise ihre Expressivität ins Dramatische steigert. An symbolischer Strahlkraft nicht mehr zu überbieten. Einfach phänomenal!“ Die Generaldirektion der städtischen Kunstsammlungen kann bis zum Redaktionsschluss nicht beantworten, wer die Performance kuratiert hat. Sollte es ein Angebot für eine Ausstellung dieses Ausnahmewerkes geben, werde man dieses prüfen. Geeignete Flächen wären zum Beispiel auf dem Theaterplatz, aber auch, je nach der vom Künstler gewünschten politischen Relevanz, auf dem Dach des Kaufhauses im Stadtzentrum oder einem Parkdeck denkbar. Zur Not könnte auch wieder der Schlossteich als Freiluftgalerie für experimentellen Schrott – Verzeihung – Kunst herhalten. Die Leitung des Freibades verweist bei den nun zunehmenden Presseanfragen nur genervt auf die immensen Reparaturkosten. Der Begriff Haushaltsloch bekommt durch den defekten Eisberg eine neue Bedeutung für die ohnehin finanziell angespannte Situation der Stadt. Das lokale Tagesblatt „Morgen wird’s auch nicht besser“ überlegt, eine Titelstory über den ominösen „Stecher vom Stausee“ (Herkunft und Alter leider noch unbekannt, er trug aber vermutlich eine blaue Hose und ein schwarzes Shirt und hatte eventuell einen Bart) herauszubringen. Hierfür könnte man zwar keine Fakten bieten, aber die mit der bloßen Vermutung zu erreichenden Klicks und Verkaufszahlen würden die kleine Interpretation der Realität schon rechtfertigen. Ein Eisbergloch zur Stopfung des Sommerlochs kommt doch wie gerufen! Die Biologin Birne äh Birte Borken-K. gibt Entwarnung: „Aufgrund der Größe der Plastik besteht für die hiesige Flora und Fauna keine unmittelbare Gefahr. Ein Übergang der Materialien in die Nahrungskette von Seebewohnern wie der Stauseebrasse durch z. B. Verschlucken ist im Gegensatz zu Mikroplastik nahezu ausgeschlossen. Ein weit größeres Verschmutzungsrisiko für das Biotop stellen die Badegäste selbst mit ihren Einträgen toxischer Mischungen aus Sonnencreme, Kosmetika und Schweiß dar. Falls hier also jemals ein lebender Fisch gefunden wird, würde ich dringend vom Verzehr abraten. Der ist mindestens so krebserregend wie die Currywurst am Imbiss.“ Doch was sagen die nicht so kunst- oder ökologiebewanderten Besucher des Bades, die zufälligen Betrachter der rätselhaften Skulptur? Geronimo D., 11 Jahre: „Or nöh!!! Echt blöd! Ich will klettern!“ Joy-Esprit D., 6 Jahre: „Mama, mir ist langweilig!“ Enrico D., 38 Jahre: „Das kann doch wohl nicht wahr sein! Vierzehn Euro Eintritt und dann funktioniert der Eisberg nicht! Nicht mal das kriegt der Staat geregelt! So 'ne Schweinerei! Da muss ein neuer Sch...Eisberg her!“ Diana N.-D., 36 Jahre: „Jetzt reg dich nicht schon wieder auf Schatz, Eisberge sind doch zur Zeit nicht so leicht verfügbar, sagen sie doch in den Nachrichten!“ Enrico D., 38 Jahre: „Verdammte Sanktionen! Ich hab's dir gleich gesagt, am Ende müssen immer wir hier bluten!“ Diana N.-D., 36 Jahre: „Ruhig Enriggo! Außerdem seid ihr das letzte Mal doch auch nicht raufgeklettert.“ Geronimo D., 11 Jahre: „Dieses Mal wollt ich aber! Ischwör!“ Diana N.-D., 36 Jahre: „Wie wär's mit 'nem Eis?“ Geronimo D., 11 Jahre: „Neh, ich will 'ne Currywurst! Mit exra viel Pommes!“ Eberhard W., ohne Altersangabe: „Extra. Nicht exra.“ Geronimo D., 11 Jahre: „Was laberst du denn Opa? Stirb lieber! Ist besser für die Rentenkasse!“ Diana N.-D., 36 Jahre: „Nicht vor dem Schwimmen!“ Joy-Esprit D., 6 Jahre: „MIR IST langweilig!“ Geronimo D., 11 Jahre: „Ich geh doch in diesem Opferbad nicht schwimmen, wo die noch nich mal nen richtigen Eisberg haben! W-Lan is auch nich! Wann krieg ich endlich meine Currywurst?“ Enrico D., 38 Jahre: „Da hätten wir auch gleich zu Hause bleiben können, da können die Kinder wenigstens fernsehen!“ Diana N.-D., 36 Jahre: „Schatz, jetzt stell dich doch schon mal an. Vielleicht kriegen wir hier wenigstens was zu essen. Nicht das die Wurst dann auch noch aus ist!“ Marianne S., 62 Jahre: „Entschuldigung, ich stehe hier auch an!“ Enrico D., 38 Jahre: „Bei Ihrer Figur sollten Sie sich das nochmal überlegen!“ Marianne S., 62 Jahre: „Wie bitte? Also was fällt Ihnen ein! Harald?“ Und auf den demolierten Eisberg angesprochen: „Der stört mich nicht. Ich lieg' immer dort ganz hinten, mit dem Harald, unter den Bäumen, da seh' ich den kaum ohne Brille. Früher gab es das hier sowieso nicht! Da haben die Kinder noch Federball gespielt.“ Harald S., 67 Jahre: „Ich finde, das Ding sieht hässlich aus. Wenn er schon kaputt ist, sollte man ihn aus dem Blickfeld schaffen. Wer schaut sich schon gern alte Dinge an, die quasi dem Untergang geweiht sind!“ Marianne S., 62 Jahre, betrachtet ihren Gatten und verkneift sich einen Kommentar. „Man könnte ihn doch ausstopfen!“, ruft die Imbissverkäuferin dazwischen. Marianne S. verzieht erschrocken das Gesicht, bis ihr klar wird, dass der Eisberg gemeint war. Ein an der naturwissenschaftlichen Fakultät der hiesigen Universität eingeschriebener Student, der nicht namentlich genannt werden will und auch sein Alter nicht preisgibt, meint im Vorübergehen: „Vielleicht sollten wir uns an ein Leben ohne Eisberge gewöhnen. Und ohne Currywhh“, will er ergänzen, als seine Freundin ihn schnell von der Schlange am Imbiss wegzieht, bevor die Lage eskaliert. Geronimo D., 11 Jahre: „CURRYWURST!“ Joy-Esprit D., 6 Jahre: „LAAANGWEILIG!!!“ Harald S., 67 Jahre: „Hässlich!“ Der Kämmerer der Stadt: „Teuer!“ Eberhard W., ohne Altersangabe: „Exravagant!“ Deutschland. Ein Sommermärchen?
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